Bauen mit Lehm, Stroh und Holz ist die Zukunft
Tausende von Jahren bis zur Industrialisierung prägten natürliche Baustoffe die Baukulturen der Menschen. Nun kehren sie wieder zurück
Über Jahrtausende bauten Menschen vor allem mit Holz, Stein und Lehm. Aus diesen Materialien bestanden die Behausungen der ersten sesshaften Bauern genauso wie die Paläste der Neuzeit. Nur die Konstruktionsweisen wurden gefinkelter. So nahm etwa gebrannter Kalk, ein Vorläufer des Zements, eine wichtige Rolle ein. Aber mit der Industrialisierung änderte sich alles. Dank Steinkohle konnte nicht nur Zement im großen Stil gebrannt werden, auch ein problemloser Transport von Baustoffen wurde möglich. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurden die über Jahrtausende gereiften Baupraktiken über Bord geworfen.
Heute, 200 Jahre später, sind auch die Nachteile dieser Disruption zu spüren. Die Erde erwärmt sich, und in den Stahl- und Betonbauten des Industriezeitalters wird es zunehmend ungemütlich. Es entsteht eine neue Sehnsucht nach natürlicheren Wohnumgebungen – mit ein Grund, warum die traditionellen Materialien erneut verstärkt in den Fokus geraten. Die alten Baustoffe kommen zwar in Form neu entwickelter Produkte zurück, müssen sich aber vielfach erst gegen die Einfachheit etablierter Praktiken, wirtschaftlich günstige Industrieprodukte und weitverbreitete Vorurteile durchsetzen.
Beständiges Holz
Doch Standardisierung allein ist noch kein Garant dafür, dass ökologischere Bauweisen zum Zug kommen. Abzulesen ist das etwa am Holzbau. „Anders als Lehm war der Holzbau immer präsent, wurde von einer Industrie kontinuierlich weiterentwickelt und beworben“, betont die Architektin. Trotz vieler neuer Angebote und aufsehenerregender Referenzbauten bis hin zu Holzhochhäusern ist für die überwiegende Anzahl der Bauherren die Beton- oder Ziegelwand aber noch immer die erste Wahl. „Viele Menschen haben die Vorstellung, dass nur eine Massivbauweise die Generationen überdauert“, sagt Rieger-Jandl. „Dass wir jahrhundertealte Holzbauten haben, wird nicht wahrgenommen.“ Der Kulturwandel braucht also noch viel Aufklärungsarbeit.
Während Holz und Lehm langsam neue Anwendungen finden, stellt sich auch die Frage: Kann die moderne Bauwirtschaft auch von historischen, vorindustriellen Betonvarianten etwas lernen? Immerhin wurde gebrannter Kalk bereits in der Antike als Bindemittel verwendet. Legendär wurde der römische Beton, dem neben Kalk bereits Vulkanasche, die zu den sogenannten Puzzolanen gehört, beigemischt wurde, um Haltbarkeit und Wasserbeständigkeit zu erhöhen.
Die Kölblalm im Johnsbachtal zählt zu den ältesten Almen der Steiermark. Die 900 Jahre alte Hütte war früher eine Schwaige, darauf weist der gemauerte Teil mit der uralten Rauchküche hin. Heute wird die Kölblalm als Almbetrieb (Jausenstation) geführt.
Zukunft des Betons
Das Wiener Forschungsunternehmen Smart Materials hat vor einigen Jahren etwa das Mauerwerk in der Römerstadt Carnuntum untersucht, um Sanierungen an historischen Bauwerken zu optimieren. „Wir haben vor Ort Bohrkerne gezogen und im Labor mineralogisch und chemisch untersucht, um Empfehlungen abzugeben, wie man mit am Markt vorhandenen Stoffen ein ähnliches Produkt herstellen kann“, erinnert sich Geschäftsführer Stefan Krispel. Während der Puzzolananteil wohl aus natürlichen Vorkommen in Italien oder der Eifel-Region kam, wurde der Kalk regional erzeugt. Die Forschenden fanden die typischen Fossilien des Leithakalks – benannt nach dem Gebirge – in ihren Proben. Gleichzeitig zeigte sich, dass auch Ziegelreste in den Beton gemischt waren.
Für Krispel berühren diese Erkenntnisse auch Themen, die die Betonindustrie im gegenwärtigen Ökologisierungstrend umtreiben: regionale Ressourcengewinnung, Recycling von Baumaterial und – ein Thema, das auch bei Smart Materials gerade beforscht wird – die Beimischung von Ziegelsplitt und calciniertem Ton in verschiedenen Phasen der Zementherstellung. „Wir arbeiten an modernen Baustoffen, die die gewohnte Qualität liefern, aber einen geringeren Anteil an Klinker, dem Kernelement des Zements, aufweisen. In einem vor kurzem abgeschlossenen Forschungsprojekt wurde eine Vielzahl von Lagerstätten zur Materialgewinnung für calcinierte Tone untersucht. Dieser neue Ausgangsstoff kann Teil des Zements werden, ohne dass Eigenschaften wie etwa Festigkeit leiden“, schildert Krispel.
Letztendlich können die CO2-Emissionen von Beton mit Ansätzen dieser Art zwar deutlich reduziert, aber nicht auf null gebracht werden. Wo es geht, müssen Alternativen her. Für Rieger-Jandl ist das Stadtentwicklungsgebiet Rothneusiedl im Süden von Wien ein erstes Großprojekt, in dem sich Lehm als Betonersatz bewähren soll. „Der in den Baugruben ausgehobene Lehm soll gleich im großen Stil vor Ort verarbeitet werden, etwa als Innenwände, Lehmputz, Schüttung oder Estrichmaterial. Das stellt uns noch vor einige Herausforderungen. Die Forschungen laufen aber, damit wir bei Baubeginn in einigen Jahren so weit sind.“ (Alois Pumhösel, 16.2.2025)